Ist das Glas halb voll oder halb leer? Das sehen Menschen durchaus unterschiedlich. Und das ist nicht nur eine Frage der Meinung oder von Interpretationen, sondern auch der persönlichen Einstellung. Sowohl Optimisten als auch Pessimisten verraten mit ihrem Urteil häufig mehr über sich selbst als über ihre Schlussfolgerungen.
Optimisten, also die, die das halb volle Glas sehen, sind Menschen, die eher positive Erwartungen bezüglich ihrer persönlichen Zukunft haben. Sie sind überzeugt, Herausforderungen meistern zu können. Persönliches Scheitern – das Durchfallen bei einer Prüfung, eine erfolglose Stellenbewerbung, Fehlinvestitionen – spornt sie an herauszufinden, wie sie ihre Erfolgschancen im nächsten Anlauf verbessern können. Die Diskrepanz zwischen positiver Erwartung und negativem Ergebnis muss beseitigt werden, indem man am Ergebnis arbeitet.
Immer das Schlimmste vor Augen
Pessimisten sehen das Glas halb leer, neigen dazu, sich auf das Negative zu konzentrieren, das Schlimmste zu erwarten. Dahinter mag ein taktischer Gedanke liegen, der vor Enttäuschungen schützt. So kann es nicht noch schlimmer kommen als gedacht.. Leider verstellt dies aber den Blick auf Verbesserungsmöglichkeiten. Der erste Gedanke nach dem Durchfallen bei der Prüfung ist häufig der an die eigene Unfähigkeit. Statt kritisch auf die Aufgabenstellung zu schauen oder korrigierbare Fehler anzugehen, ist das Ergebnis die Bestätigung des eigenen Gedankens. Eine solche selbsterfüllende Prophezeiung kann jeden Antrieb lähmen.
Nun könnte man annehmen, dass „Realismus“ die goldene Mitte ist, die zum Erfolg führt. Realismus ist aber kein geeigneter Begriff, denn unsere innere Einstellung beeinflusst die realen Ereignisse. Echter Optimismus bleibt also realitätsnah und schätzt die Chancen ein, die sich bei entsprechendem Einsatz bieten. Nur wenn sich der Einsatz auch lohnt, ist die Hoffnung auf Erfolg berechtigt.
Die Grenzen der Gedanken
Dies unterscheidet sich vom übersteigerten Glauben an „positives Denken“. Letzteres verspricht den Erfolg allein durch die Formulierung von Glaubenssätzen, etwa „Ich werde reich, weil ich es verdient habe“ – nach dem Prinzip: Einmal jeden Morgen ans Spiegelbild gesprochen, schon kommt der Geldsegen. Der ausbleibende Erfolg führt nicht zu Anstrengung und Motivation, sondern zur oberflächlichen Schlussfolgerung, man hätte nur nicht genug an die Kraft seiner Gedanken geglaubt. Häuft sich das Misslingen, klaffen Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinander, kann das zum Zusammenbruch jeder Motivation führen: der grundlose Optimismus kippt in Verzweiflung und Lethargie um. Der realistische Optimist sagt sich dagegen: „Wenn ich nicht reich genug bin, suche ich mir eine Stelle mit mehr Gehalt – aktiv und ab sofort. Vielleicht klappt es nicht beim ersten Mal, aber ich schaffe das.“ Weil er dran bleibt und dabei lernt, steigen seine Chancen, dass es wirklich klappt.
Realistischer Optimismus ist erlernbar!
Die gute Nachricht: Psychologische Studien zeigen, dass sich Optimismus erlernen lässt. Indem man sich seine Erfolge vor Augen führt und ehrlich analysiert, was man selbst dazu beigetragen hat. Indem man sich seine Misserfolge vor Augen führt und ehrlich analysiert, was man selbst zur Überwindung, zum Weitermachen beigetragen hat. Indem man Komplimente anderer bewusst dankbar annimmt. („Dass wir den Kunden gewonnen haben, haben wir deiner Beharrlichkeit zu verdanken, ich hätte längst aufgegeben.“). Ein guter Einstieg ist ein Optimismus-Tagebuch: Jeden Abend schaut man zehn Minuten lang zurück auf den Tag und notiert, was man erreicht hat und wie man das gemacht hat.
Wofür sich das lohnt? Optimisten sind nachweislich körperlich und psychisch gesünder. Sie freuen sich mehr an den alltäglichen Geschenken des Lebens. Deshalb mache ich jetzt eine spontane Zehn-Minuten-Pause auf meinem Sofa: Einfach mal Zeitung lesen.